Der folgende Text ist im Rahmen einer gleichnamigen Veranstaltung entstanden. In einer offenen Diskussion haben wir die Folgen der aktuellen Kriege in Gesellschaft und der radikalen Linke besprochen. Aus dem inhaltlichne Input dafür haben wir diesen Text formuliert.
So muss auch dieser Text verstanden werden, dessen Komplexität der Sache sicher nicht gerecht wird. Wir wollen zu einer Diskussion einladen, statt einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.
In Zeiten, in denen die Welt von Krise zu Krise schlittert, mit der Linken mittendrin, finden wir es sinnvoll und notwendig, gemeinsame Räume für Austausch und Fragen zu schaffen, die möglicherweise ein wenig Licht in die aktuelle Situation bringen.
Wir gehen davon aus, dass Militarisierung, d.h. die Beteiligung an bereits geführten Kriegen, wie auch die Vorbereitung auf weitere, aktuell eine zentrale Frage dargestellt. Diese Frage lässt – wie die meisten relevanten Themen dieser Zeit – sich stellen als Frage nach Leben, Überleben und Tod. Außerdem verändert sie die Ausgangsbedingungen aller Kämpfe grundlegend. Die Diskrepanz zwischen der Lage der Welt und einer schwachen, marginalen Linken war selten größer.
In dem Text werden wir auf einige ökonomische und geopolitische Faktoren eingehen, welche immer schon und besonders jetzt Kriege hervorbringen. Dann beschreiben wir, welche Veränderungen wir in der Gesellschaft und radikalen Linken beobachten. Genau beim springenden Punkt – der Frage, was nun zu tun ist – wird dieser Text aufhören. Einerseits weil dort unser inhaltliche Input die Diskussion eröffnen sollte. Andererseits weil wir, wie viele andere, keine eindeutigen Antworten haben.
Wir wollen einladen zu einer Debatte auf kritischer und konstruktiver Ebene, abseits von einem Zwei-Lager-Denken, das auf der Suche nach der richtigen und falschen Antwort mehr Türen verschließt als öffnet.
Krieg, Kapital, konkurrierende Machtblöcke
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion versprach George Bush Senior eine „neue Weltordnung“, eine Ära des Friedens und Wohlstands für alle. Mit der Auflösung der Blockkonfrontation versprach man sich einen Kapitalismus, der sich ungebremst ausbreiten kann. Ein Traum. Die Realität heute zeigt, dass nichts an diesem Versprechen dran war.
Der französische Sozialist Jean Jaurès beschrieb es kurz vor dem ersten Weltkrieg wie folgt: „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich, wie die Wolke den Regen.“
Im Folgenden wollen wir kurz auf die allgemeine und aktuelle Verwobenheit von Ökonomie und Krieg eingehen. Wir finden es falsch, kriegerische Konflikte ausschließlich auf ihre ökonomischen Aspekte zurückzuführen. So gibt es Konstellationen, in denen (post)koloniale, ideologische oder kulturell-identitäre Aspekte eine große Rolle spielen. Vor allem in den Konflikten im Nahen und Mittleren Osten stößt die schematische Erklärung anhand der Verschiebung geopolitischer Machtverhältnisse auf ihre Grenzen. Genauso falsch finden wir es, diese ökonomischen Faktoren aus Sorge vor Verkürzung und Unvollständigkeit ganz auszulassen.
Dennoch wollen wir diese schematische Erklärung einmal versuchen zu zeichnen.
Ein wirtschaftliches System, das auf ständigem Wachstum und Expansion beruht, muss immer über seine Grenzen hinaus wachsen, mit einem unstillbaren Durst nach Ressourcen, seien es Rohstoffe, fruchtbare Böden, seltene Erden, Arbeitskraft. Dabei hat die kapitalistische Globalisierung einen weltweit vernetzten, arbeitsteiligen Produktionsprozess und Warenaustausch in gegenseitiger Abhängigkeit geschaffen. Auch einige Linke träumten davon, dass diese Globalisierung selbst die Schranken des Nationalstaates überwindet. Auch zahlreiche Verträge, Abkommen, Absichtserklärungen konnten die nationalstaatliche Logik nicht abschaffen. Zurück bleibt ein Widerspruch aus globaler, international vernetzter Wirtschaft und darin konkurrierenden Nationalstaaten.
Vor allem in den letzten Jahren zeigen sich immer deutlicher Verschiebungen, ausgelöst durch eine Schwäche der westlichen Großmacht USA und ihren Verbündeten, dessen aggressiv-expansive Neuordnungsbestrebungen nach dem Zusammenbruch des Ostblocks an ihre Grenzen stoßen. Andere Regionalmächte, das Mullah-Regime und Erdogans Türkei, ebenso wie Russland, wittern Morgenlust und versuchen ihren Einfluss auszuweiten. Auch in der EU sehen wir, dass der Wunsch nach Wirtschaftseinheit stückweise durch eine Aufteilung in den westlichen und russischen Block unterlaufen wird.
In vielen Ländern haben Kriege und westliche Interventionen ein Machtvakuum hinterlassen, das die Konkurrenten nun zu füllen versuchen. China hat in den letzten Jahrzehnten massiv weltwirtschaftlichen Einfluss gewonnen, (Handlungs)Beziehungen, Infrastruktur und Industrie ausgebaut. So stehen bspw. die USA und China trotz ihren konkurrierenden Ansprüchen in vielseitiger Abhängigkeit, was Produktionsprozesse, Handel und Absatzmärkte angeht. Hier sehen wir bereits Elemente eines Handelskrieges im frühen Stadium.
Krieg und Kapital sind auf viele weitere Arten verknüpft. Es mag trivial, aber nicht weniger grausam sein, darauf hinzuweisen, dass die Rüstungsindustrie genau damit ihren Profit erzielt: Mit Rüstung. Mit steigenden Konflikten steigen die Rüstungsausgaben. Mit dem 100 Milliarden-schweren Sondervermögen für die Bundeswehr ist nur ein Beispiel der letzten Zeit genannt. Konkret lässt sich das auch an der Rheinmetall-Aktie beobachten. Kurz vor Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine lag ihr Preis bei ca. 85 EUR, jetzt knapp 3 Jahre später bei 600 EUR. Ebenso spielen privatwirtschaftlich organisierte Armeen und Sicherheitsdienstleister eine zunehmende Rolle in militärischen Auseinandersetzungen.
Academi, ursprünglich Blackwater, ein US-amerikanisches Unternehmen, bietet militärische Operationen inkl. Folter, Hinrichtungen und anderen Menschenrechtsverletzungen an und hat im Irak und in Afghanistan mitgekämpft. Bei IKEA bestellt man ein Billy Regal, bei Academi eine Folteroperation – kann ein Markt noch freier sein? Ähnlich ist es mit der Wagner-Truppe, die als Söldner-Armee lange Zeit für Putin einsatzbereit war.
Im Nachgang bieten Kriege dann gute Aussichten auf neue Märkte und Wiederaufbauverträge. So versorgte das Unternehmen Halliburton während des Irak-Krieges die US-Armee mit Equipment und Treibstoff und erhielt schließlich Wiederaufbauverträge für zerstöre Anlagen und Ölraffinerien vor Ort. Dick Cheney, Bushs Vizepräsident war ehemaliger CEO von Halliburton.
Wir beobachten nach wie vor eine Ideologisierung kriegerischer Konflikte abseits ihrer profitbezogenen und geopolitischen Aspekte.
Während die Unterdrückung der Frauen durch die Taliban in Afghanistan 2001 noch ein Grund für den Kriegsbeginn war, wurde das Land genau diesen 2021 bei der Beendigung des Einsatzes überlassen.
Während Putin seinen Angriffskrieg auf die Ukraine als antfaschistische Spezialoperation bezeichnet, wird auf der anderen Seite die Verteidigung der Ukraine zur Verteidigung der westlichen Demokratie gegen die russische Autokratie hochstilisiert. Während die geopolitischen Machtkonstellationen der Herrschenden in den Hintergrund rücken, wird der Westen zum identitären Bezugspunkt eines vermeintlich progressiven „Wir“. Ein Blick auf Saudi-Arabien zeigt aber, dass die EU und die BRD gar nicht zwingend mit allen autokratischen Staaten ein Problem haben.
Während die Farce eines Kampfes für westliche Werte im Irak und in Afghanistan von der Linken noch erkannt und kritisiert wurde, ist es inzwischen ein Einfallstor für innerlinkes Zwei-Lager-Denken geworden. Gleichzeitig gilt es aber genauso, nicht in die Falle einer verkürzten, anti-imperalistischen Position zu fallen und die USA bzw. die Nato als alleinige Ursache globaler Konflikte darzustellen. Wir steuern mit großer Sicherheit auf eine Phase zu, die viele weitere kriegerischen Auseinandersetzungen hervorbringen wird. Umso wichtiger ist die Frage, welche Rolle eine radikale Linke in diesen Fragen spielen wird.
Das neue Kriegsregime
Anlässlich des russischen Angriffs auf die Ukraine sprach Olaf Scholz in seiner Rede im Bundestag von einer „Zeitenwende“. Wir möchten, in Anlehnung an einen Text von Sandro Mezzadra und Brett Neilson, diese Zeitenwende mit dem Begriff des Kriegsregime füllen:
„Mit diesem Begriff bezeichnen wir Prozesse der Militarisierung von Politik und Wirtschaft, die unter dem Vorzeichen eines allgegenwärtigen Bezugs auf die „nationale Sicherheit“ in vielen Teilen der Welt zu beobachten sind. Der Aufrüstungswettlauf und die Veränderung der Zusammensetzung der öffentlichen Ausgaben (für die es auch in Europa viele Beispiele gibt) sind sowohl das Ergebnis als auch die Voraussetzung dieser Prozesse, bei denen die „geopolitischen“ Dimensionen untrennbar mit den „geoökonomischen“ verwoben sind. Der Krieg steht im Zentrum der kapitalistischen Globalisierung, insofern der Konflikt die Organisation der oben beschriebenen Räume betrifft, oder, wenn man so will, die politische Organisation des Weltmarkts in einer Situation, in der die Hegemonie der Vereinigten Staaten in der Krise zu stecken scheint und durch das Auftauchen neuer Akteure (von China bis Russland, von den BRICS-Staaten bis zum „Globalen Süden“) herausgefordert wird.“ (medico international, https://www.medico.de/blog/hoch-die-haende-zeitenwende-19401)
Dieses steht in vielfachen Verflechtungen mit der Autoritarisierung unserer Gesellschaft:
Jahrzehnte neoliberaler Dominanz haben vor einer Kultur der Härte und Wettbewerbsfähigkeit eine rücksichtslose Selbstverantwortung etabliert. Die Schwächung oder Vernichtung des Anderen wird zu etwas Positivem, einem potentiellen Vorteil. Wir erleben seit Jahren bereits eine äußere wie innere Militarisierung in Form einer Zunahme staatlicher Repression oder einer Ausweitung polizeilicher Rechte und Bewaffnung. Die allgemeine Zustimmung zu autoritären Praktiken und Rhetoriken steigt. Der Begriff der Sicherheit wurde endgültig seiner „wohlfahrtsstaatlichen Bedeutungsgehalte entleert und in polizeilich-militärische Kontexte eingebettet“ (Gabriele Michalitsch, https://transform-network.net/de/blog/analyse/inflationaere-haerte-teuerung-militarisierung-und-autoritarismus/)
All diese Tendenzen der letzten Jahrzehnte potenziert der Krieg. Er führt zu einer sozialen Polarisierung und treibt gesellschaftlichen Ausschluss und Entdemokratisierung voran.
Auch wenn das Aufrüsten in Deutschland bereits in den letzten Jahrzehnten langsam an Fahrt aufgenommen hat und wir seitdem bereits auf diesen Moment vorbereitet werden, markiert der Beginn des Ukraine-Kriegs eine neue, qualitative Veränderung. Das Nein zum Krieg, auch als Resultat zweier begonnener Weltkriege, ist kaum noch hörbar. Stattdessen folgen den Herrschend zunehmend Teile der weiteren Gesellschaft in einen Kriegstaumel: „Der Feind, der unsere westliche Demokratie bedroht, rückt näher.“ Bringt der Westen die Demokratie nicht mehr mit Bomben an ferne Orte, muss er sie jetzt direkt vor der eigenen Haustür verteidigen. Eine Erzählung die verfängt, vor allem auf einem Nährboden neoliberaler und dauerkrisenhafter Verunsicherung.
Wir konnten seitdem in Echtzeit dabei zuschauen, wie der Wind sich dreht: Während der Gesetzesentwurf für das 100 Milliarden-schwere Sondervermögen für die Bundeswehr bereits vorher existierte, rollte diese massive Finanzierung im Schatten des russischen Angriffs über jegliche Rest-Widerstände hinweg. Die kurzfristige Empörung Einzelner verstummt gegen die Einigkeit, der Ertüchtigung hin zu einem Militär, das es mit den Großen aufnehmen kann. Die Bundeswehr mobilisiert umfassend, nicht erst seit 2022. Auf staatlicher Ebene wird der Kriegsfall vorbereitet, militärisch, wie auch im Bereich des Bevölkerungsschutzes, was eine bereits Jahre andauernde Zusammenarbeit des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mit der Bundeswehr zeigt. Auch Schulen sollen Zivilschutz-Übungen in Luftschutzbunkern vornehmen, wie die ehemalige Bildungsministerin Stark-Watzinger forderte.
Ein neuer Wehrdienst ist bereits auf den Weg gebracht, welcher alle männlichen 18-Jährigen zum Ausfüllen eines Online-Fragebogens verpflichtet. Ein klarer, erster Rückschritt zur Wehrpflicht. Auch im neuen Selbstbestimmungsgesetz wurde ein Paragraph aufgenommen, der alle kürzlichen Änderungen des Geschlechtseintrages im Kriegsfall revidieren kann, um alle staatlich als Männer definierten Personen einziehen zu können.
All das sind Beispiele, die den Krieg in die Köpfe und in den Alltag setzt, die Frage nach dem „ob?“ verschwindet aus dem Rahmen des Denkbaren.
Das führt dazu, dass auch immer größere Teile der Menschen in der BRD Waffenlieferungen und Kriegsbeteiligungen befürworten, stets verbucht unter Verteidigung der westlichen Demokratie. Es scheint kein anderer Weg mehr vorstellbar zu sein, wie Frieden erreicht werden kann.
Wir beobachten, dass der öffentlichen Diskurs zunehmend unter der Prämisse des Kriegs verhandelt wird. Für Politik im weitesten Sinne steht nun oft an erster Stelle das Vorhaben, Kriegs- und Verteidigungsvorbereitungen zu treffen. Auch die Ökonomie wird zunehmend von einer Logik der nationalen Unabhängigkeit und einem Vorrang des Krieges beeinflusst. Mit massiven Sozialkürzungen sollen Ausgaben eingespart werden und auch die Klimakrise hat im neuen Kriegsrime keinerlei Priorität mehr. Erneuerbare Energien sind nur noch interessant, sollten sie Unabhängigkeit von externen Energieliefanten versprechen.
Ebenso findet eine Umstrukturierung des gesellschaftlichen Zusammenlebens statt. Das Erbe der Anti-Kriegs-Bewegung, ebenso das Bewusstsein für den Krieg als Krieg der Herrschenden weicht einem Dualismus von Innen und Außen: „Der Krieg ist eine Zeit der Re-Nationalisierung, eine Zeit, in der von allen Seiten zur Geschlossenheit aufgerufen wird.“ (Isabell Lorey, https://transversal.at/transversal/0422/lorey/de). Auch im Innen, in der nationalen Gemeinschaft, drohen staatliche Gelder noch stärker unter dem Vorzeichen der Nützlichkeit verhandelt zu werden. Die ethnisierte, rassistische Dimension einer geschlossenen Nation mitsamt identitär konstruiertem „Volk“, lässt sich seit Jahren und ebenso zunehmend in den Auseinandersetzungen um Migration sehen. Wir beobachten eine Militarisierung und Versicherheitlichung jeglicher Konfliktfragen abseits der Kriegsthematik. So werden z.B. auch Fragen um Klima und Migration zunehmend von Abschottungstendenzen gegen den drohenden Kollabs dominiert.
Nicht zuletzt sehen und antizipieren wir eine Zunahme patriarchaler Einflüsse. Mit der Etablierung des Kriegsregimes bricht die Zeit der Männer an, wie auch ein Blick auf die beliebtesten Politiker zeigt. Es ist eine Männlichkeit, die von Stärke, Härte, Kompromisslosigkeit und Führung geprägt ist. Weiß und Heterosexuell sowieso. Die patriarchale Männlichkeit kann im Krieg stärker als Norm gesetzt werden, im Dienste einer wehrfähigen Nation. Krieg ist in Bezug auf Geschlecht immer reaktionär, verstärkt er doch eine binäre, rechte Identitätspolitik, bestehend aus einem für das Vaterland bis zum Tod kämpfenden Mannes und einer für die Reproduktion der Nation zuständigen Frau. Gleichzeitig ist es genau diese Art der aggressiven, hegemonialen Männlichkeit, die den Krieg und seine Logik vorantreibt. Den einzigen öffentlich hörbaren Austritt versprechen die Grünen, bei denen auch Menschen aller Geschlechter für die Wehrpflicht in Frage kommen – ein Glück!
Die radikale Linke: Zwischen Marginalisierung und einer Politik der Feindschaft
Auch die radikale Linke bleibt von diesen Veränderungen nicht unberührt. So haben wir es in der Frage des Krieges, von der Restrukturierung der globalen Machtverteilung bis zu innenpolitischen Fragen größtenteils verpasst, eine hörbare, gesellschaftliche relevante Position zu entwickeln und zu vertreten. Wie schon bei der Covid-Pandemie zeigt sich erneut: Es scheint egal, was wir sagen.
Wir versäumen bis dato sogar in die Position einer Ohnmacht zu gelangen, scheitern wir doch sogar schon vorher daran, eine Haltung oder Position zu entwickeln. Das innerlinke Lagerdenken bis hin zur Verfeindung erhält in den Kriegsfragen (Waffenlieferungen für die Ukraine oder nicht, Israel oder Palästina) ein neues Hoch. Die Kriegslogik von Innen und Außen, Dafür oder Dagegen und eine Politik der Feindschaft hat auch uns erreicht. Wir erliegen nicht nur der gesamtgesellschaftlichen, sondern auch der eigenen Abstumpfung, die, abseits kurzweiliger Empörung, Fakten schafft:
Während die Diskrepanz zwischen einer desolaten Weltlage und der eigenen Handlungsunfähigkeit jeden Tag zu wachsen scheint, muss die Linke sich selbst dabei zuschauen, wie sie Krieg und Aufrüstung scheinbar hinnimmt.
Diese Leerstelle linker Positionen füllen, auch hier ähnlich wie bei der Covid-Pandemie, andere Akteure. So legitimiert sich das BSW anhand seiner plakativen Friedenspolitik ebenso in anderen Bereichen, während die radikale Linke – verständlicherweise – pikiert am Rand steht.
Wir sehen heute schon und erwarten auch in den nächsten Jahren zunehmend veränderte Bedinungen darin, wie wir unsere politischen Kämpfe führen können. Auch über die Prämisse des Krieges hinaus, sehen wir durch das erstarkende Kriegsregime ein adressierbares Gegenüber unter den Herrschenden final verschwinden. Keine Partei, keine politische Kraft, die nun mehr mit einem progressiven, transformativen Herrschaftsprojekt antritt und von uns auf diese Werte festgenagelt werden könnte. Die apellative Politik der letzten Jahre offenbart sich als dementsprechend sinnlos. Das „Weiter so“ wäre eine fatale Verausgabung unserer Kräfte.
Wir gehen davon aus, dass staatliche Repression weiterhin zunehmen wird, wie wir es bereits in Verbindung mit der zunehmenden Autoritarisierung erlebt haben. Die Register, welche aber nun unter der Farce einer deutschen Staatsräson gegenüber der propalästinensischen Bewegung gezogen werden, lassen erahnen, was auch einer breiteren antimilitaristischen, radikalen Linken bevorsteht.
Was nun?
„Gewiss, die Weltverhältnisse sind so komplex, dass alles Begreifen den Ereignissen stets hinterherhechelt. Unsicher sein, sich keiner Seite zugehörig fühlen, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern kann, sofern nicht von moralischer Indifferenz genährt, ein erster Schritt zur Stärke sein. Von jenen, die sich gefährlich sicher sind, gibt es bereits zu viele.“ (Charlotte Wiedemann, https://taz.de/Kriege-in-der-Ukraine-und-Nahost/!6031349/)
Wir verstehen das neue Kriegsregime als Kontext, in dem unsere Politik sich verorten werden muss. Ein klares Nein zum Krieg ist Basis unserer Position und Praxis. Wir sehen, dass die fundamentale Oposition zum Krieg als einende Position, abhanden gekommen ist und die radikale Linke sich zunehmend der einen oder anderen Seite eines kriegerischen Konfliktes verpflichtet, meist hochmoralisiert und vereindeutigt. Dieses Denken in Lagern, wie die Suche nach der einen, richtigsten Position, lehnen wir ab.
Dennoch wollen wir uns nicht auf der eigenen Uneindeutigkeit und Unsicherheit ausruhen und eine Rückkehr zu den „guten alten Zeiten“ (die es so auch nie gegeben hat) propagieren. Aber was dann?
Wir denken, dass es vielfältige Diskussionsräume braucht, in denen wir gemeinsam in Anbetracht der aktuellen Situation herausfinden können, was als Linke jetzt zu tun ist. Mit unserer Veranstaltung für welche die inhaltliche Grundlage dieses Textes entstanden ist, wollten wir einen kleinen Schritt in dieser Richtung machen. Wir denken, dass eine essentielle Haltung sein muss, sich der Kriegslogik in ihren vielfachen Ausführungen zu verweigern. Ebenso müssen wir sichtbar werden und dazu beitragen, diese fundamentale Opposition überhaupt wieder denkbar zu machen. Dafür werden wir nicht drumherum kommen, alt-hergebrachte Strategien und Ideen, sei es das klassische politische Bündnis oder die diskursive Intervention zu überdenken. Wir wollen uns gemeinsam auf die Suche machen, was ein Nein zum Krieg heute bedeuten kann, das weder verklärt in die Vergangenheit blickt, noch in einer überheblichen Abstinenz gegenüber dem politischen Handgemenge verharrt, sondern Autoriatrisierung, Krieg und Aufrüstung integer und mutig entgegentritt.
Weiterführende Texte:
Sandro Mezzadra und Brett Neilson: „Hoch die Hände, Zeitenwende“
Gabriele Michalitsch: „Inflationäre Härte: Teuerung, Militarisierung und Autoritarismus“
Charlotte Wiedemann: „Schmuddelbegriff Frieden“
Diskussionsgruppe Frieden Hannover: „Im Westen geht die Sonne unter“
Isabell Lorey: „Kriegerische Männlichkeit und autoritärer Populismus“
Transnational Social Strike Platform: „Nein zum Krieg. Für eine Transnationale Politik des Friedens“
AG Internationalismus der Interventionistischen Linken: „Der Krieg, die Linke und wir“