In vielen Kommentaren wird verlangt, dass die US-Proteste friedlich sein sollen oder es wird gar jede Legitimation für Protest aberkannt, wenn Proteste nicht friedlich bleiben. Auch in Aufrufen zu Solidaritätsprotesten in Deutschland tauchen Unterscheidungen von „guten“ und „schlechten“ Protestierenden, sowie ein Bedürfnis zur Abgrenzung gegenüber Ausschreitungen auf.
Der Fokus auf die Gewaltfrage und die Aufsplittung in guten und schlechten Protest, dient lediglich dem Zweck, ob nun gewollt oder ungewollt, vom tiefsitzenden, strukturellen Rassismus abzulenken. In den USA wie hier bedeutet der Alltag von Millionen von Menschen, insbesondere von People of Color Gewalterfahrung. Wieso waren diese Journalist*innen und Kommentator*innen, die sich jetzt so sehr Frieden wünschen, nicht so laut, wenn Schwarze immer und immer wieder erschossen wurden, ihre Täter dann oft einfach wieder freikamen? Wieso haben sie oft die Narrative von Einzelschicksalen miterzählt und verbreitet? Haben diese Kommentator*innen ebenfalls so sehr geweint, als sie mal einen Blick auf die Toten-Statistiken der durch Corona Verstorbenen geworfen haben, aus denen, ohne Mathematiker*in sein zu müssen, eindeutig eine überdurchschnittliche Sterbewahrscheinlichkeit für Schwarze, abzulesen ist? Ist das nicht auch Gewalt, wenn man aufgrund seiner Stellung in der Gesellschaft bereits bei der Geburt mit einer viel höheren Wahrscheinlichkeit eher Kanonenfutter ist, eher arm, eher keine richtige Bildung bekommt, eher keine sinnvolle Perspektive fürs Leben, eher Opfer von Polizeiwillkür, Ausgrenzung, alltäglichen Demütigungen ist? In welchem Verhältnis steht diese Gewalt zu brennenden Autos und Plünderungen? Ja, es wird auch geplündert und es brennen auch Polizeiwagen. Ob man das mit seinem moralischen Kompass auf seinem hohen Ross überein bekommt oder nicht. Es passiert. Aber es passiert eben als Folge von jahrzehntelangem, strukturellem Rassismus und systematischer Ungleichheit. Systematische Ungleichheit, damit immer genug billige und schnell austauschbare Arbeitskräfte da sind, die die Burger wenden, die Pakete abfertigen und die Pflege übernehmen. Alles schnell schnell. Hoch getakteter Arbeitsrhythmus. Alles ohne Aufmucken. Wer aufmuckt, fliegt. Aber es sind eben Menschen. Irgendwann bricht die angestaute Wut aus, ob die Bilder, die dann auf dem Monitor flackern jedem gefal
len oder nicht. Wenn euch das nicht gefällt, wenn ihr wirklich ernsthaften Frieden wollt, dann solidarisiert euch mit dem Kampf für eine Gesellschaft frei von Rassismus, Ausgrenzung und systematischer Ungleichheit. Nicht nur in den USA. Auch hier. Und weltweit.
Oder um es in den Worten von Trevor Noah (TV-Host der Daily Show) zu fassen:
When Colin Kaepernick knelt, they said, „this is not the right way to protest.“
When M.L.K. marched in Selma, they said, „this is not the right way to protest.“
When people marched in the streets of South Africa during Apartheid, they said, „this is not the right way to protest.“
There is no right way to protest because that’s what protest is. It can’t be considered „right“ by the system that it’s protesting.
Kein Frieden mit diesen Verhältnissen! Echter gesellschaftlicher Frieden kann nur in einer Gesellschaft entstehen, die sich ihrer rassistischen Polizei entledigt hat.