Referent: Fabian Hennig (Geschlechterforschung, Berlin/Basel)
Während Frauen auf eine Vielzahl moderner, d.h. reversibler Methoden zur Kontrazeption zurückgreifen können, gibt es für Männer auch fast 60 Jahre nach dem Marktgang der Antibabypille kein einziges derartiges Mittel. Erblickte Feminismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der „Antibabypille“ zunächst die Möglichkeit, dass Frauen über ihren Körper und ihre Biographie selber bestimmen, klagte kurz nach dem Marktgang in den 60ern an die feministische Frauen- und Gesundheitsbewegung, dass Frauen nun die Hauptverantwortung für die Verhütung tragen – in finanzieller, zeitlicher und vor allem gesundheitlicher Hinsicht. Der radikale Feminismus beantwortete die Frage, warum es keine Pille für den Mann gibt, mit dem Androzentrismus der Wissenschaft, gegenwärtig wird sie in den Diskussionen um weibliche „Pillenmüdigkeit“ erneut aufgeworfen.
Tatsächlich wird an neuen männlichen Kontrazeptiva bereits seit den 70er Jahren geforscht und reproduktionsmedizinische Studien erbrachten verschiedentlich den Beweis, das hormonelle Verhütung beim Mann wirksam ist. Forschungen konzentrieren sich dabei nicht allein auf die zum medialen und kulturellen Symbol avancierte „Pille für den Mann“. Auch an Implantaten, Gels, Spritzen, reversiblen Vasektomien und Ventilen, hormonellen wie nicht-hormonellen Methoden wird mitunter seit Jahrzehnten geforscht. Zur Marktreife brachte es allerdings keiner dieser Ansätze. Wenn auch nicht länger aufrechterhalten werden kann, dass Verhütung natürlicherweise Frauensache sei, scheint sich die geschlechtliche Arbeitsteilung in der Verhütungspraxis aus der Verfügbarkeit entsprechender Mittel zu ergeben.
Der Vortrag begibt sich auf die Suche nach einer Antwort auf die Frage, warum es keine Pille für den Mann oder Vergleichbares gibt. Mit „dem Patriarchat“ oder „der Pharmaindustrie“ sind zwar die üblichen Schuldigen schnell an der Hand, der Verweis auf sie beantwortet die Frage aber noch nicht. Ein Blick auf die Diskurse um „Pille für den Mann“ und Co. zeigt, dass auch Männer sich der Ungerechtigkeit der geschlechtlichen Aufgabenverteilung in der Verhütung durchaus bewusst sind, dass sie jedoch eine Nebenwirkung ganz besonders fürchten: den Verlust von Männlichkeit. Die Entwicklung neuer Kontrazeptiva für Hodenträger ist aber allenfalls notwendige, keine hinreichende Bedingung reproduktiver Geschlechtergerechtigkeit. Denn die Überwindung der Angst vor ihrem Verlust schlägt nur allzu schnell um in den Beweis von Männlichkeit und die Bedeutung von Verhütung erschöpft sich nicht in Fürsorge oder Partnerschaftlichkeit, sondern kann ebenso Distanz, Autonomie und Kontrolle implizieren. Ist die Assoziation der „Pille für den Mann“ mit sexueller Revolution ist daher vorschnell?
Fabian Hennig lebt als Geschlechterforscher und freier Autor in Berlin.
In seinem Promotionsprojekt analysiert er die Transformation von Männlichkeit im Diskurs um moderne männliche Kontrazeptiva. Für die Jungle World schrieb er zum sogenannten „Lebensschutz“, „The Handmaids Tale“, „Liebesschlössern“ und „Der junge Karl Marx“. In Outsidethebox und materializing feminism publizierte er zur materialistischen Kritik an Diskurstheorie, New Materialism und Posthumanismus.
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