Jahresrückblick 2020


Wir wollen diesen Jahresrückblick nicht mit der großen Frage überfrachten, wo wir als radikale Linke in diesen turbulenten Zeiten stehen, welche Chancen wir hätten ergreifen sollen, welche noch vor uns liegen. Dies ist eine gesonderte Aufgabe.
Mit unserem Jahresrückblick wollen wir vielmehr Schlaglichter werfen auf unsere politische Praxis und politische Ereignisse und Entwicklungen, die Kämpfe, von denen wir Teil waren und sind, die Gewalt dieser Verhältnisse, die Risse im herrschenden Gefüge, Momente von Wut, Sprachlosigkeit, Trauer, aber auch Hoffnung und Widerstand. 


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Den ersten Teil unseres Rückblicks beginnen wir nicht mit der Pandemie, sondern mit all den Ereignissen und Kämpfen, die 
Dass sich Thomas Kemmerich im Februar mit den Stimmen der AfD zum neuen Ministerpräsidenten von Thüringen wählen ließ, löste eine Welle der Empörung und spontane Mobilisierungen in unzähligen Städten, auch in Köln, aus. Auf Landesebene stellt dieses Ereignis die erste offizielle Kooperation bürgerlicher Parteien mit Rechtsextremen seit der Weimarer Republik dar. Diese währte jedoch nicht lange und unter massivem öffentlichen Druck legte Kemmerich sein Amt nieder. In unserem antifaschistischen Kampf wird es uns eine Mahnung bleiben.


Am Abend des 19. Februar 2020 verübte ein Rechtsterrorist einen rassistisch motivierten Anschlag in #Hanau, bei dem zehn Menschen ermordet wurden: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nessar Hashemi, Mercedes K., Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Gabriele Rathjen, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov.  Vor Ort hat sich die @initiative 19. Februar gegründet und kämpft seitdem mit den Betroffenen dafür, dass die Namen der Opfer nicht vergessen werden und darum der Solidarität und den Forderungen nach Aufklärung und politischen Konsequenzen einen dauerhaften Ort zu geben. Bundesweit kam es zu Mahnwachen, Kundgebungen und Demonstrationen. Wir sagen: Kein Vergeben, kein Vergessen, #SayTheirNames ! 


Am 08. März, während die Coronapandemie bereits auf dem Vormarsch war, gingen wir mit tausenden auf die Straße zum feministischen Streik, als Teil einer weltweiten Bewegung der feministischen Kämpfe gegen die patriarchale Gewalt, die Abwertung von weiblich konnotierter Carearbeit, für die körperliche Selbstbestimmung und eine feministische Zukunft. Unter dem Motto „Das gute Leben für alle erkämpfen!“ haben wir uns mit einem All-Gender-Block an der Demo beteiligt.


Im deutschsprachigen Raum kam es im Zuge des mörderischen Anschlags von Hanau zur Neugründung von Gruppen unter dem Label #migrantifa . Der Begriff kursierte spätestens seit der #unteilbar Demonstration aus dem Vorjahr in verschiedensten antirassistischen und antifaschistischen Kontexten als Plädoyer, Kämpfe zusammenzubringen und stark zu machen, um die rassistische Spaltung der Gesellschaft zu überwinden. Auch als Reaktion auf Hanau wurde zum 08. Mai, dem Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, dazu aufgerufen, ebenjene Verknüpfung zwischen den Kämpfen herzustellen. In Köln haben wir unter anderem mit einer Audiotour Beiträge von Betroffenen und politischen Initiativen in die Öffentlichkeit getragen.


Ende Mai ermordete ein Polizist in Amerika George Floyd. Sein Tot erweckte stellvertretend für alle Opfer rassistischer Gewalt und Diskriminierung ein Welle der Solidarität und #blacklivesmatter Proteste. Von Minneapolis bis nach Köln gingen Millionen von Menschen auf die Straße um deutlich zu machen: Wir lassen das nicht länger zu!
Der Fall George Floyd befeuerte auch die Debatte um deutsche Sicherheitsbehörden. Plötzlich wurden Stimmen laut, die nach einer Studie für Rassimus bei der Polizei verlangten. Fälle rassitischer Polizeigewalt fanden ungewohntes Gehör und mediale Aufmerksamkeit. Bis tief in die Gesellschaft bröckelte das Bild des*r unfehlbaren Polizist*in. Dieses neugewonnene Misstrauen den Behörden gegenüber bestätigte sich wenig später, als massenweise rechtsextreme Chatgruppen bei der Polizei gefunden wurden.


6 Monate nach dem tödlichen und rassistischen Anschlag von Hanau, hatte ein breites Bündnis zu einer bundesweiten Demonstration in Hanau aufgerufen. Diese wurde mit Verweis auf die steigenden Coronazahlen kurzfristig verboten, woraufhin dezentral in unzähligen Städten Livestreams der Kundgebung organisiert wurden, so auch in Köln. Besonders bitter an diesem Verbot ist die Gleichzeitigkeit mit den Bildern der Coronaleugner*innen, zu denen auch ein relevanter Teil der organisierten Rechten zuzuordnen ist, die in Berlin nur eine Woche später triumphal auf den Stufen des Reichstags posierten.


Im September haben wir uns an den dezentralen antirassistischen Aktionstagen, zu denen @We’ll Come United und andere aufgerufen hatten, beteiligt. 5 Jahre nach dem March of Hope, haben wir mit einer Social Media Kampagne eine Brücke geschlagen zwischen kolonialer Vergangenheit und Kontinuitäten in Köln und den anhaltenden, weltweiten antirassistischen Protesten und widerständigen Bewegungen.


Den Sommer über hat die Initiative @Herkesin Meydanı – Platz für Alle mit der Reihe „Live Acts gegen Rassismus“ Veranstaltungen an der Ecke Keupstraße/Schanzenstraße organisiert, um dort für das Mahnmal in Erinnerung an die rassistischen Bombenanschläge des NSU-Netzwerks in der Probsteigasse 2001 und der Keupstraße 2004 und einen Platz für Alle zu kämfpfen. Auch wir haben eine Veranstaltung beigesteuert und mit Tice, Judith Baumgärtner und Nima den Fokus auf die Wortkunst gelegt.


Am 25,11., dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, haben wir zusammen mit unseren wütenden Freund*innen verschiedenste Aktionen in Köln durchgeführt. Wir kämpfen für das Ende der Gewalt an FLINT* und die Zerstörung aller patriarchalen und sexistischen Strukturen!


Wir erlebten in diesem Jahr nicht nur eine Welt, die in Schach gehalten wurde von einem tödlichen Virus, sondern eine Welt in Aufruhr. Proteste, die schon in den Vorjahren begannen, flammten erneut auf oder gingen unvermindert weiter: von Chile, dem Labor des Neoliberalismus über den Libanon, Irak bis hin zu den riesigen Generalstreiks in Indien gegen neoliberale Agrar- und Arbeitsmarktreformen, sowie die eindrucksvollen feministischen Mobilisierungen von Polen bis Argentinien. Nicht vergessen werden darf der Wahlkrimi in den USA, der schlussendlich zur Abwahl des Protofaschisten Trump geführt hat.
…to be continued…
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Hier nun der zweite Teil unseres Jahresrückblicks, in dem wir die Ereignisse unter dem Vorzeichen von Corona beleuchten. Die (radikale) Linke ist nach wie vor auf der Suche nach Orientierung in dieser globalen Gesundheitskrise, viele Texte wurden geschrieben, Onlinediskussionen veranstaltet, neue Aktionsformen erprobt und thematische Anknüpfungspunkte für Interventionen gesucht. Ein Blick zurück lohnt sich:


Bereits im März, während der erste Lockdown beschlossen, #systemrelevant zur Chiffre für all die mies bezahlten, unverzichtbaren Jobs der Daseinsvorsorge wurde und das Klatschen von den Balkonen begann, haben wir in unserem Debattenbeitrag „Raus aus der Dankbarkeit, rein in die gemeinsamen Kämpfe!“ dafür plädiert die Pandemie als Klassenfrage zu begreifen:https://blog.interventionistische-linke.org/corona/die-pandemie-als-klassenfrage


Social Distancing und #staythefuckhome waren die Zauberformeln, die immer noch als blanker Hohn für diejenigen gelten, die weiterhin im Mittelmeer ertrinken, in Lager gepfercht werden, abgeschoben werden. Mit #leavenoonebehind wurden vielfach Aktionstage durchgeführt, um einem entleerten Händewaschen-Solidaritätsbegriff eine umfassende Solidarität, die keine Grenzen kennt und niemanden zurücklässt, entgegenzustellen. Für eine Evakuierung der Lager an den Außengrenzen, eine dezentrale Unterbringung von Geflüchteten vor Ort und die Bereitstellung von Wohnraum für diejenigen, die keinen haben.


In der Hochphase des ersten Lockdowns kam es in Köln zu einer Besetzung durch eine selbstorganisierte Initiative von Wohnungslosen. Die „Obdachlosen mit Zukunft“, kurz OMZ eigneten sich ein leerstehendes Gebäude in der Marktstraße als Zufluchtsort an. Solidaritätskundgebungen und -proteste und konkrete Unterstützung folgten.


Während die einen im Homeoffice saßen, um einer Ansteckung zu entgehen, zeigten die Fälle #Tönnies und #Bornheim , wie migrantische Arbeit in der Lebensmittelindustrie ausgebeutet wird und wie die kapitalistische Verwertungslogik diese Leben dem Virus schutzlos ausliefert. In Bornheim kam es im Zuge von ausbleibenden Löhnen und miserabler Unterbringung und fehlender Schutzmöglichkeiten vor dem Virus zu einem wilden Streik von migrantischen Erntehelfer*innen, der solidarisch begleitet wurde.


Im Zuge des #unteilbarsolidarisch Aktionstages am 01. Mai, zu dem ein breites Aktionsbündnis in Köln aufgerufen hatte, haben wir dann zusammen mit dem @gesundheitsbündnis und anderen zu einer thematischen Kundgebung in Rodenkirchen aufgerufen, bei der insbesondere die Betroffenen, von Pflegekräften über Patient*innen und Angehörige zu Wort kamen. In räumlicher Nähe zu einem Pflegeheim, das zu diesem Zeitpunkt einen Großteil der Coronatoten in Köln zu verzeichnen hatte, hieß es: „Die Coronakatastrophe in den Altenheimen verhindern! Menschenleben vor Profit“. Zu diesem Zeitpunkt wurde bereits überdeutlich, was die Profitlogik im Gesundheitswesen für verheerende Folgen hat und dass wir über grundlegende Alternativen nachdenken müssen.


Die Klimakrise geht unvermittelt weiter, die massenhaften Proteste für Klimagerechtigkeit, die in den Vorjahren die Straßen eroberten, mussten neue Wege finden. Die Pandemie macht erfinderisch und so organsisierten wir zusammen mit @aufbäumen @zuckerimtank und @endegeländekoeln eine Aktionsrallye in Köln im Rahmen des #aufstandmitabstand Aktionstags. In Kleingruppen organisisert galt es verschiedene aktionistische Aufgaben zu meistern. Dabei wählten die Kleingruppen das Aktionslevel selber.


Auch der Wohnungsmarkt nimmt keine Rücksicht auf eine globale Pandemie und steht weiter im Zeichen der Profite mit der Miete. Zum bundesweiten Aktionstag “Shutdown Mietenwahnsinn” am 20.06. haben wir daher gemeinsam mit @recht auf stadt köln und anderen zu einer Kundgebung aufgerufen.


Im September spitzte sich die humanitäre Katastrophe in dem Geflüchtendenlager #Moria durch einen Brand zu. Tausenden Menschen blieb nicht einmal das Zelt als Unterkunft. Die EU, Deutschland vorran, entschied sich die Menschen ihrem Schicksal zu überlassen und verweigerte die Aufnahme und Verteilung der Menschen. In Köln kam es wie in vielen anderen Städten zu Aktionen und Demonstrationen, die #wirhabenplatz der unmenschichen Abschottungspolitik der europäischen Regierungen entgegenhielten.


Zusammen mit dem @kölner pflegebündnis hieß es am 05. September „Das Klatschen auf die Straße tragen“. Mit mehreren Hundert Menschen sind wir für ein Ende der Profitlogik im Gesundheitswesen und eine gute Gesundheitsversorgung für Alle auf die Straße gegangen.


Ein Jahr ohne @endegelände? Unvorstellbar! Mit dem auf 2038 datierten Kohleausstieg bewies die Regierung: Der Ausstieg aus der Kohle bleibt Handarbeit. Pandemiebedingt starteten viele kleine Finger um Kohle- und Gasinfrastruktur effektiv zu blockieren. 


Im kleinen Dorf Lützerath nahe des Tagebau Garzweiler ist in den letzten Monaten zudem ein widerständiger Ort entstanden. wo sich Menschen entschlossen den Rodungsarbeiten von RWE in den Weg stellen und damit auch ein Signal an die anderen Dörfer, die für den Braunkohleabbau dem Erdboden gleichgemacht werden sollen, senden. Wir waren vor Ort und haben den Widerstand unterstützt. #alledoerferbleiben


Außerdem haben wir noch unsere Solidarität gezeigt mit den Angeklagten im Rahmen des Rondebargprozesses, bei dem an 5 jungen Menschen die während des G20-Gipfels ihr legitimes Recht auf Demonstration wahrnahmen, ein Exempel statuiert werden soll. Wir waren in Düsseldorf und immer wieder auch mit Köln gegen Rechts vor Ort, um den sogenannten Querdenker*innen den Tag zu vermiesen, waren mit unseren kurdischen Freund*innen gegen das PKK-Verbot auf der Straße. Trotz aller Widrigkeiten haben wir viele neue Freund*innen gewonnen, Bündnisse geschmiedet und Kämpfe geführt. 

Und wenn noch jemand einen guten Vorsatz fürs neue Jahr braucht: sich zu organisieren, um dieser ganzen organisierten Traurigkeit etwas entgegenzusetzen und in die Offensive zu kommen, sich für die kommenden Verteilugnskämpfe zu rüsten und die Frage nach einer Gesellschaft jenseits von #Kapitalismus, #Rassismus und #Patriarchat auf die Tagesordnung zu setzen…in diesem Sinne: #jointherebellion