Gemeinsam mit vielen anderen Gruppen haben wir einen Offenen Brief an die TH Köln geschrieben. Im Rahmen einer Fachtagung zur Extremen Rechten und Sozialer Arbeit wurde der Verfassungsschützer Schirmer als Experte für dieses Thema eingeladen. Wir finden das falsch, weil es nicht nur ein fragwürdiges Bild von Sozialer Arbeit vermittelt, sondern auch ein falsches Zeichen gegenüber den Betroffenen von rechtsextremer Gewalt ist.
Offener Brief
Sehr geehrte Organisator:innen der Veranstaltung Rechtsextremismus, Neue und extreme Rechte in den Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit,
Sehr geehrte Prof. Dr. Birgit Jagusch,
am 16. September 2020 wird in Ihrem Hause eine Fachtagung mit dem Titel Rechtsextremismus, Neue und extreme Rechte in den Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit abgehalten. So sehr wir – Studierende und Aktivist:innen in Köln – uns darüber freuen, dass Sie sich diesem Thema aus wissenschaftlicher Perspektive widmen, umso mehr sind wir enttäuscht über die Einladung von Thomas Schirmer als Vertreter des Verfassungsschutzes.
Wir finden den Gedanken, dass ein Vertreter des Verfassungsschutzes an einer Hochschule als Experte zum Thema Rechtsextremismus auftritt, mehr als befremdlich. Weder stellen die Verfassungsschutzbehörden in ihrer Praxis neutrale Institutionen dar, noch können Universitäten und Hochschulen als zentrale öffentliche Institutionen des Wissenschaftsbetriebs real eine neutrale Positionierung einnehmen. Zur Förderung einer demokratischen und zivilen Entwicklung der Gesellschaft ist es unerlässlich, gesellschaftliche Verhältnisse und die eigene Praxis darin kritisch zu reflektieren. Dem Verfassungsschutz mangelt es nicht nur daran, vielmehr ist sie ein Teil des Problemkomplexes Rechtsextremismus. Mit dem Verfassungsschutz ist die Aufarbeitung weder in der Hochschule noch außerhalb derer möglich – das wird besonders in der Analyse der vergangenen Verbindungen des Verfassungsschutzes mit der rechtsextremen Szene deutlich.
Auch wenn eine persönliche Verbindung Thomas Schirmers zur rechtsextremen Szene nicht beweisbar ist und wir ihm das auch nicht unterstellen möchten, so werden die Verbindungen der Behörde zur extremen Rechten und ihren Vertreter:innen doch immer wieder deutlich. Exemplarisch sei hier der Anschlag auf der Kölner Keupstraße genannt. Hinter den Ermittlungen zum Anschlag auf der Keupstraße steckten auch Expert:innen, die sich bereits jahrelang mit dem Rechtsextremismus – übrigens auch mit dem Trio Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos – beschäftigten, und trotzdem keinen Grund zur einer ordentlichen Investigation sahen.[1] Eine ähnliche Komplizenschaft lässt sich nahezu in allen Städten beobachten, in denen der NSU nachweislich gemordet hat. In Anbetracht dieser Tatsache und gerade aus dem aktuellen Kampf der Keupstraße um ein Mahnmal ist die Entscheidung der Technischen Hochschule insbesondere für marginalisierte Studierende als ein Schlag in die Magengrube zu verstehen.
Die Annahme, dass der Verfassungsschutz als gesamte Institution auf dem rechten Auge blind sei, ist fast schon ein Euphemismus. Egal, ob finanziell oder personell, in Form von Waffen oder Bargeld – in der vergangenen Zeit wurde im Rahmen der Aufklärung von rechtsextremen Straftaten, besonders um den NSU-Prozess, oftmals eine Unterstützung des Verfassungsschutzes verdeutlicht. Mithilfe von Falschaussagen, Aussageverboten und Aktenvernichtungen blockiert der Verfassungsschutz die Arbeit anderer Strafverfolgungsbehörden und Untersuchungsausschüsse. Mit dem Argument des Quellenschutzes werden Funktionäre der rechtsextremen Szene gedeckt, personelle Überschneidungen werden von der gesamten Behörde nicht thematisiert. Der Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme beispielsweise hat nicht nur beim NSU eine große Rolle gespielt[2], auch hatte er eine Verbindung zum Mörder von Walter Lübcke, Stephan E. Es gibt noch viele weitere Beispiele.
Ebenfalls äußerst fragwürdig tritt der Verfassungsschutz gegenüber kritischen antifaschistischen Akteur:innen auf. Insbesondere die langzeitige Stigmatisierung der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN–BdA) als eine sogenannte linksextreme Gruppe, durch die bayerische Behörde – in Folge dessen der VVN-BdA auch die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde – ist hier zu nennen. Zentral begründet wird die Entscheidung durch das Festhalten der VVN-BdA am „Schwur von Buchenwald“, was durch den bayerischen Verfassungsschutz als vermeintlich demokratiefeindliche Form des Antifaschismus denunziert wird. So wird auch durch den Verfassungsschutz eine kritische, an Menschenrechten und Demokratie orientierte Zivilgesellschaft ausgeschaltet!
Mit Analysen wie diesem befeuert der Verfassungsschutz die Hufeisentheorie und stellt eine engagierte Zivilgesellschaft auf die gleiche Ebene wie mordende Faschist:innen. Statt auf progressive Kräfte zu setzen und diese zu unterstützen ignoriert, deckt und fördert der Verfassungsschutz Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus. Dadurch wird nicht nur antifaschistisches Engagement seitens des Staates illegalisiert und delegitimiert, sondern erst ermöglicht, dass Faschist:innen unter dem Decknamen NSU 2.0 weiter Angst verbreiten, terrorisieren und möglicherweise auch morden. Man kann sagen, dass es in jeglicher Hinsicht unsensibel und nicht zielführend ist, einen Vertreter eben jener Institution einzuladen, die bundesweit und immer wieder durch systematischen Schutz der Szene und mangelnde Aufklärungsarbeit bei Rechtsextremismus von sich reden macht. Besonders in der sozialen Arbeit braucht es an Expert:innen, die unabhängig von staatlichen Behörden präventiv zum Rechtsextremismus arbeiten, weswegen sich hier die Frage stellt, warum nicht diese Strukturen in die Planung der Fachtagung eingebunden wurden.
Gleichzeitig fragen wir uns, was für ein Bild präventiver Jugendarbeit hinter einer Einladung des Verfassungsschutzes steht. Wir erwarten von einer Sozialen Arbeit als Menschenrechtsprofession eine kritische Abgrenzung von der politisch motivierten Sicherheitsdoktrin des Inlandsgeheimdienstes, der sogenannten Extremismustheorie. Stattdessen müsste sie sich an einer kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Verhältnissen und menschenrechtsbasierten pädagogischen Ansätzen in der Arbeit mit gefährdeten Jugendlichen orientieren.
Es ist beinahe noch mehr verhöhnend für die Betroffenen rechtsextremistischer Gewalt, wenn unter einer Veranstaltung, wo ein Vertreter des Verfassungsschutzes sprechen soll, Werbung für die hauseigene Diversity Reihe „Rassismuskritik und Antidiskriminierung an der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaft“ gemacht wird. Zu einem kritischen Umgang mit Rassismus gehört eben auch, Opfer zu Wort kommen zu lassen und eben nicht diejenigen Strukturen, die Rassismus und rassistische Gewalttaten begünstigen. Hier wird der Bock zum Gärtner gemacht.
Als Interessierte einer zeitgemäßen hochschulischen Bildung kritisieren wir die Einladung Schirmers und lehnen sie grundsätzlich ab. Grundsätzlich stellt sich bei uns die Frage, welches Ziel diese Fachtagung mit einer Teilnahme von Herrn Schirmer verfolgte und wie es zu seiner Einladung kam. Deswegen möchten wir insbesondere Prof. Jagusch bitten, Stellung zu beziehen.
[1] Als Beispiel kann hier der Mitarbeiter des Verfassungsschutzes unter dem Namen Jörg Appenroth dienen. Appenroth, der nur einen Monat nach dem Anschlag den Bericht zu den Ermittlungen beendet hat, hatte vorher unter anderem an der Broschüre Gefahr eines bewaffneten Kampfes deutscher Rechtsextremisten – Entwicklungen 1997 bis Mitte 2004 mitgewirkt und befasste sich im Rahmen dieser Broschüre auch mit dem NSU-Trio.
[2] Andreas Temme ist ein hessischer Verfassungsschützer und V-Mann-Führer. Er war zum Zeitpunkt des Mordes an Halit Yozgat nachweislich am Tatort im Internetcafé. Bis heute streitet er das ab, Zeuge der Tat gewesen zu sein. Bei einer Wohnungsdurchsuchung wurden unter anderem Waffen, NS-Devotionalien und -Schriften sichergestellt.
Unterzeichnende:
Antifa AK
Ende Gelände Köln
Seebrücke Köln
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Kein Mensch ist illegal Köln
Interventionistische Linke Köln
Feministischer Streik Köln
SDS Köln
Young Struggle Köln
Z0RA
Herkesin Meydanı – Platz für Alle
AufBäumen
Association for the Design of History (ADH)
Migrantifa NRW
Antifa CGN
TCS – Kurdische Jugend Köln
Köln gegen Rechts