Rede anlässlich des ersten Jahrestages von dem rassistischen Anschlag in Hanau am 19 Februar in Köln Mülheim

Liebe Freund*innen, liebe Genoss*innen, 
Schön, dass heute so viele da sind. Ein Jahr nach Hanau stehen wir nun hier. Wir trauern um die Opfer, denken an die Angehörigen und sind gleichzeitig fest entschlossen, dass es so endgültig nicht weitergehen kann.


Rassismus und Rechtsextremismus werden oft als Phänomen von verwirrten Einzeltätern abgetan. Nicht erst seit Hanau wissen wir, dass das eine falsche Erzählung ist, die die lange Tradition rassistischer Gewalt in ganz Deutschland verschleiert. Hanau war kein Einzelfall. Der Täter war kein Einzeltäter. Und auch hier bei uns in Köln hat die Diskriminierung von Migrant*innen, Geflüchteten, Muslim*innen, Schwarzen und People of Colour bis hin zu rassistischen Morden und Anschlägen Tradition:
1992 und 1993 drei Bombenanschäge, 2001 ein Sprengstoffanschlag des  Nationalsozialistischen Untergrunds in der Probsteigasse, 2004 ein Nagelbombenanschlag in Köln-Mülheim auf der Keupstraße, ebenfalls NSU. Viele migrantische Menschen wurden schwer verletzt, ihre Leben schwer erschüttert. Die Ermittlungen jedoch führten die rassistischen Motive der Täter auf institutioneller Ebene fort. NIE wurden rassistische oder rechtsterroristische Gründe für diese menschenverachtenden Gewalttaten herangezogen, IMMER wurden zuerst Angehörige und Opfer verdächtigt und kriminalisiert.Auch im Fall Hanau wurde erst kürzlich bekannt, dass der Notausgang der Arena Bar, in der Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtovic ermordet wurden, im Vorhinein, mutmaßlich nach einer polizeilichen Anordnung, verschlossen wurde. Diese Verriegelung lebensrettender Fluchtwege sollte angeblich verhindern, dass Gäste der Arena Bar bei einer Polizeikontrolle die Flucht ergreifen. Wozu sie führte, sind 2 ermordete Menschen, die nicht einmal die Chance hatten, ihrer gezielten Tötung zu entkommen


In Köln-Porz wird im Dezember 2019 unter rassistischen Beleidigungen auf einen jungen Menschen geschossen. Tatverdächtig ist dieses Mal keine rechtsradikale Terrororganisation, sondern das Ratsmitglied einer Partei, die sich als die „Mitte der Gesellschaft“ darstellt, der CDU. Hans-Josef Bähner, der Tatverdächtige, Parteimitglied und zum Zeitpunkt der Tat Teil der Ratsfraktion der CDU, wird  tagelang von den bürgerlichen Medien gedeckt, bis zufällig über Twitter sein Name bekannt gemacht wird. Wir fordern Gerechtigkeit für das Opfer, das nur überlebte, weil er sich im richtigen Moment drehte und der Schuss so „nur“ in die Schulter ging. Der Prozess sollte eigentlich im März starten und wurde jetzt bis auf Weiteres verschoben. Das wird uns aber nicht davon abhalten, aufmerksam zu bleiben und dafür zu sorgen, dass die Tat nicht in Vergessenheit gerät: Lasst uns gemeinsam und solidarisch an den Prozesstagen vor Ort sein, den Prozess kritisch mit Kundgebungen begleiten und Öffentlichkeit schaffen! 
All diese Gewalttaten – Probsteigasse, Keupstraße, Porz, Hanau (und viele mehr?) – zeigen, dass wir in einem gesellschaftlichen Klima leben, in dem der Hass in den Parlamenten sitzt und dem Terror auf den Straßen den Boden bereitet. Ein Klima, das Menschen ermutigt, diesen Hass zu schüren und in die Tat umzusetzen. Ein Klima, in dem „Shisha-Bars“ zum Kampfbegriff politisiert und rechte Gewalt und rechter Terror zu Einzelfällen entpolitisiert werden. Ein Klima, in dem Medien Opfer zu Tätern und Täter zu Opfern machen – Dieses Klima heißt Rassismus.Der Fall von Porz ist ein grausames Beispiel dafür, wie weit der Hass; die rechten, antisemitischen und rassistischen Ideologien, schon in der sogenannten „Mitte“ angekommen sind. Er zeigt, wie tief verwurzelt gesellschaftlicher Rassismus immer noch in den Parteien der Mitte ist und welche Legitmationen er dort fortwährend erfährt. Aber ob nun der NSU mordet oder die bürgerliche Mitte schießt – getroffen ist in beiden Fällen migrantisches Leben. 
Rassistische Ideologien machen sich genau dort breit, wo sie keinen Widerstand erfahren. Bürgerliche Medien und Politik haben die rechte Gefahr jahrelang relativiert, weggeredet, verharmlost – von NSU bis Lübcke, von Rostock Lichtenhagen bis Halle, von Hanau bis Porz – Wir fragen uns jedes Mal wieder: Wie viele Anschläge und Verletzte muss es noch geben? Wie viele Waffen müssen noch in die Hände von Rechtsextremist*innen gelegt werden? Wie viele Morddrohungen muss der NSU 2.0 noch von Polizeiservern versenden? Wie viele Menschen müssen ihr Leben verlieren, weil sie nicht in ein rassistisches, völkisches und nationalistisches Bild von „Deutschsein“ passen? Ferhat Unvar schreibt in einem kurzen Gedicht: „1945 schrie ein Land „Mit uns nie wieder!“, plötzlich gibt’s die AfD, besorgte Bürger und Pegida.“ Der Urgroßvater von Mercedes Kierpacz war Auschwitz-Überlebender. 75 Jahre später stirbt seine Urenkelin durch die Hand eines Rassisten, geführt von der gleichen Ideologie, die nichts an ihrer Tödlichkeit eingebußt hat. Die sogenannte Entnazifizierung verdient ihren Namen nicht. 
Wir alle als Antifaschist*innen und Antirassist*innen sind aber heute hier, um Widerstand zu leisten. Wir müssen gemeinsam die rote Linie ziehen, weil es sonst niemand tun wird. Jeder neue Fall von rechter Gewalt zeigt uns, dass der Staat rassifizierte Menschen und Antifaschist*innen nicht schützt. Es ist an uns, gemeinsam jene Solidarität zu organisieren, die der Hetze und Scharfmacherei die Stirn bieten kann.Ein Vorbild dafür ist Serpil Temiz Unvar, die Mutter von Ferhat Unvar. Sie hat bereits zwei Wochen nach dem Anschlag drei zentrale Forderungen formuliert: lückenlose Aufklärung, lebenslange Unterstützung für die Familien der Opfer und die Gründung einer staatlich geförderten Stiftung, die Aufklärungsarbeit gegen Hass und Rassismus leisten soll. Zusammen mit Freund*innen und Unterstützer*innen hat sie die Sache selbst in die Hand genommen und die Bildungsinitiative Ferhat Unvar gegründet. 
So utopisch das klingen mag: Alles muss sich ändern.Es reicht eben nicht, einige Tage gemeinsam zu trauern, wenn keine grundsätzlichen Schlussfolgerungen gezogen werden. Eine Bewegung, welche die tief sitzenden Strukturen des Rassismus und der systematischen Ungleichheit bekämpft und die verschlossenen Notausgangtüren endlich eintritt, ist nicht erst seit der AfD, nicht erst seit Hanau und Halle überfällig.Es ist längst Zeit.
Ob Rostock oder Mölln, Hanau oder Porz; Halle, Kassel, München oder Chemnitz: Wir sagen: Kampf dem Faschismus und Solidarität mit allen Betroffenen von Rassismus! Kein Vergeben, kein Vergessen!